Datum: 16. Februar 2000
Ressort: Feuilleton
Autor: Ivo Mailand

 

Im Garten der Dinge

«Auf die Plätze, fertig, los!» - Auf der Suche nach dem Phänomen Zeit stocherten Berliner Künstler im Müll - jetzt geben sie ein Stück Ratlosigkeit an das Publikum weiter

Von Ivo Mailand

Ein alter Korkenzieher, eine Puppe, ein leeres Feuerzeug - Großstadtmüll, wie ihn eine Metropole wie Berlin tagtäglich anschwemmt. Drei in Berlin lebende Künstler sehen in solchen Dingen jedoch keinen Müll, sondern etwas viel Spannenderes, nämlich geronnene Zeit. Und wo Künstler etwas sehen, werden sie schnell aktiv. Unter dem Signum «Los! 2000» jagen Stefan Horn, Johan Holten und Hans Schaaf ab morgen in der Tiergartener Pumpe dem Phänomen Vergänglichkeit nach.

In dem 25 mal 17 Meter großen Raum haben sie 2000 Zeitmomente als erfahrbare Größe installiert. Installationen benötigen natürlich einen Rohstoff, aus dem die künstlerische Aussage erwächst. Keine einfache Sache, wenn es sich um ein so ungriffiges Material wie Zeit handelt. Deshalb waren seit Jahresbeginn 35 «Kollektoren» in Berlin unterwegs, um die zu «Spuren der Zeit» erklärten Großstadtabfälle den Besen der BSR zu entreißen. Neben Korkenziehern und Feuerzeugen tüteten die Zeitgräber auch Autoreifen und Gummistiefel ein. Obendrein filmten sie Berliner beim Einsteigen in die U-Bahn oder stellten ihnen zeitrelevante Fragen. Etwa: «Wie lange dauert für Sie ein Augenblick?» Viel Originelles konnte man bei solch schematischer Erkundung kaum erwarten, doch offenbar reichte es für genügend Kunstwerkstoff.

Nach ihrer Sichtung wurden die Dinge, Bilder und Töne von Stefan Horn und Co. zu einer audiovisuellen «Sinfonie der Großstadt» vermengt. Motto: «Rettet die Zeit!» Auch der Ablauf der geplanten Happenings wurde von ihnen einem strengen Zeitregime unterworfen: In der ersten Phase warten die im Dunkeln liegenden Fundstücke auf die Besucher und erzeugen hoffentlich das antizipierte Gefühl «schwebender Zeitlosigkeit». In Phase 2 wird ein 2000 Momente umfassender Timecode gestartet, während sogenannte «Movers» durch den Raum streifen und - mit Taschenlampen und leuchtenden Gießkannen bewaffnet - einzelne Objekte in ihrem «organischen Zusammenhang» sichtbar machen.

Schlussendlich dürfen die Besucher an drei Computern mit den Artefakten spielen, sprich diese in die eigene Zeit holen. Wem das Ganze zu unübersichtlich ist, kann heimlich an der «Echtzeitbar» ein paar zeitlos schöne Drinks kippen - obwohl hier eigentlich über Fragen wie «Was ist Weltzeit?» diskutiert werden soll.

«Los! 2000» ist der dritte Teil einer Konzeptkunstreihe, die 1997 im Verbund mit Urban Dialogues e.V. und der JugendTheaterWerkstatt Spandau begann. Initiiert wurde sie von dem Theaterwissenschaftler Stefan Horn, der mit seinen Projekten versucht, Menschen völlig unterschiedlicher künstlerischer Herkunft zusammenzubringen. Mit «Los! 2000» will Horn in einem «Garten der Objekte den Dingen ihre Würde und Schönheit» zurückgeben. Auch Mitstreiter Hans Schaaf kennt sich mit der Synthese von bereits Bestehendem aus: «Es kann ja nicht jedes Mal darum gehen, das Rad neu zu erfinden», sagt der 37-jährige Klangkünstler. «Ich bin vor allem daran interessiert, dass das, was ich tue, die Menschen berührt.»

Ein präziser Sinn für «Los! 2000» lässt sich also vorerst nicht finden, die Kunstszene wird nicht unbedingt revolutioniert. Trotzdem dürfte der Abend recht instruktiv werden, allein schon der Form wegen, in der die beteiligten Künstler ein Stück Ratlosigkeit ans Publikum weitergeben. Das sollte übrigens selbst auch Zeit mitbringen - satte drei Stunden sind veranschlagt.

Alte Pumpe, Lützowstr. 42, Tiergarten. 17.  -  20.2., 20  -  23 Uhr.