Datum: 21. Februar 1997
Autor: Andreas Gerlof

 

Absurdes Spiel mit dem Publikum

Theater-Projekt führt heute und morgen das Stück "elizabetacam" auf

Einen sprichwörtlichen Blick mitten ins Theaterleben erhalten Besucher der Inszenierung "elizabetacam" - einem Gemeinschaftsprojekt der Jugendtheaterwerkstatt Spandau und der friend-ship-performance company. Das heute und morgen erstmals im Klubhaus an der Westerwaldstaße aufgeführte Stück bricht dabei mit nahezu allen klassischen Theaterregeln und verlangt von Publikum wie Darstellern fast artistische Talente.

Das beginnt schon am schwarz verhangenen Eingang zur Spielstätte, wo die Besucher eine hochnotpeinliche Leibesvisite erdulden müssen. Unter dem gestrengen Blick eines mit Panzerkappe und Ledermantel ausstaffierten Akteurs werden Taschen kontrolliert und Achselhöhlen nach Halftern abgetastet. Doch danach beginnt die "Qual" erst so richtig:
Zuschauerbänke sucht man in dem vieleckigen, düsteren Raum vergeblich. Lediglich ein flaches Podest, ein überdimensionaler Fellsessel oder der Bühnenrand bieten einige Zentimeter Sitzfläche. Freilich nicht sehr lange. Denn was die Darstellerin und ihre beiden männlichen Kollegen zu bieten haben, ist selten auf einen festen Punkt im Raum konzentriert, reicht mitunter bis zum "Augenkontakt" mit den Zuschauern oder verflüchtigt sich bis zum Saalausgang. Der Schauplatz wechselt dabei fast ebenso schnell wie die Stimmung, in der die Akteure von absurden Sätzen zu gemeinsten Gemeinplätzen - vom heulenden Elend zur tödlichen Langeweile oder vom brutalen Drohen zur zärtlichen Umarmung - finden. Das verlangt vom Besucher ständige Hinwendung zum bewegten Geschehen im Aktionsraum.

Das Stück aus der Sowjetunion der zwanziger Jahre hatte der Autor Daniel Charms wohl vor allem als Gleichnis auf die Sinnlosigkeit einer Gesellschaft angelegt, die persönliche Freiheiten postuliert, dagegen aber individuelle Unfreiheiten alltäglich garantiert. Diesen Gedanken hat diese Inszenierung bis zu den Grenzen des Erträglichen ausgereizt. Unterstützt durch Video-Einblendungen und zumeist aggressive Live-Gitarrenmusik bietet sie mit "elizabetacam" eine gut siebzigminütige Gratwanderung zwischen Performance und Schauspiel. Dass der Balanceakt letztendlich aufgeht, liegt wohl vor allem daran, dass in jedem Teilbereich der Inszenierung mit professionellem Einsatz und Können agiert wird. Die Mimik und Körpersprache der Darsteller, ihr sprachliches Vermögen und das Geschick im Spiel miteinander gereichtem manchem Staatsschauspieler zur Ehre. Die Einsätze von Licht und Ton kommen gleichfalls "auf den Punkt". Mit den gekonnten Gitarren-Parts werden Stimmungswechsel vorbereitet oder aber satirische überhöht.

So bleibt ein kurioser Theaterabend der Sonderklasse in Erinnerung. Und wer die Leibesvisite und das Ton-Wort-Tanz-Gewitter überstanden hat, wird genauer wissen, ob er selbst noch mitten ins Bühnenleben will.