Datum: September 1996
SpielArt Magazin
Autor: Carola Thiede

 

Freiheit für Elizaveta

Elizaveta Bam
Regie: Stefan Horn

Es war nicht kalt, jedenfalls nicht richtig... Und geregnet hat es auch nicht. Vielleicht hatten das viele erwartet, denn sie waren leider nicht da. So waren wir (Zuschauer) wenige und konnten diesen spannenden Abend nur mit wenigen teilen. Leider. Aber das sagte ich schon. Um doch etwas konkreter zu werden, möchte ich sagen, dass ich mich im Folgenden auf eine Aufführung der Elizaveta Bam von Daniil Charms beziehe, (sowie auf etliche Texte aus "Fälle" und "Fallen", die in der ersten Hälfte des Abends inszeniert wurden). Produziert wurde das Ganze von dem Verein friend-ship (oder Freund-Schiff)), unterstützt von drei Schauspielern der Jugendtheaterwerkstatt Spandau.

Zunächst rannte ich am Theater vorbei, was kein Kunststück war, da es kein Theater gab, sondern "nur" zwei Hinterhöfe bespielt wurden, samt den dazugehörigen Fenstern. Gelegentlich hingen an dem alten Gemäuer ein paar Hände (ich glaube aus Gummi, gefüllt mit Gips) und andere dekorative Kleinigkeiten. Jedenfalls passte es. Zu meiner Vorstellung von Texten von Daniil Charms. Im zweiten Hinterhof war ein Gerüst aufgebaut, eine laufstegartige Bühne in erster Linie für Elizaveta (am Ende kämpften dort auch noch zwei, teilweise fliegende, Recken. Ich glaube, einer hat den Kampf gewonnen, nach dem Abgang auf der anderen Seite der Brandmauer ins Nachbargrundstück zu urteilen). Mir ist nicht danach, den Inhalt des Stücks wiederzugeben, das kann jeder bitte schön im Taschenbuch "Fälle" nachlesen. Wichtiger finde ich den Versuch, die erzeugte Atmosphäre zu beschreiben, die das Absurde, Komische und auch das Böse und Bedrohliche der Charmschen Texte hervorragend einfing und widerspiegelte.

Elizaveta, Opfer, aber auch Verführerin, zeigte viel Haut und vermochte in ihren Pumps erstaunlich schnell Treppen zu erklimmen oder hinunter zu rennen und zusammen mit den Feinden/Verfolgern - gleichzeitig Spielkameraden - den Hof in eine turbulente Arena zu verwandeln. Das stalinistische Rollkommando bestach durch einen alten Froschanzug sowie einen langen dicken Ledermantel, der wenig Spielraum für Assoziationen ließ. Mamasa und Papasa verschmolzen in einer männlichen Person, was die dem Text ohnehin immanente Irritation noch zu steigern vermochte. Obendrein wurden durch diesen Kunstgriff psychoanalytischen Deutungsmustern Tür und Tor geöffnet (saß Elizaveta jetzt bei der Mutter oder gar beim Vater in eindeutiger Pose auf dem Schoß, und wollte sie nicht eigentlich spazieren gehen ?!)

Raum-, besser: hofgreifend waren die Spielszenen, dann und wann die hin und her wandernden, je nach Ort des Geschehens die Köpfe reckenden Zuschauer integrierend, nein, nicht schlimm, kein Angst machender Mitmachzwang herrschte (bei vielen, vielen Menschen hätte sicher die Spiellust der Akteure wohl noch stärker auf den Zuschauer übertragen). Gut war's, dass es auch 21 Uhr schon heftig dunkelte, so dass der Lichtregie die ihr gebührende Aufmerksamkeit gezollt werden konnte. Das von außen durch die Fenster sichtbare Innere der Räume erstrahlte in Rosa-, Grün- und Blautönen, was den spannenden Kontrast zwischen der Kunstwelt einer Inszenierung und einem alten Berliner Mietshaus "ins rechte Licht rückte", verstärkt durch die Musik des in einem Zimmer mit weit geöffnetem Fenster platzierten E-Gitarristen.

Schön und auch einfach sehr komisch war der Dialog zweier Frauen (übrigens Bewohnerinnen des Hauses), die sich aus gegenüber liegenden Fenstern .............?..................,erst die eine der anderen, und dann wurde mit dem gleichen Wortlaut der Spieß umgedreht und so dem Gemeinen und Beleidigenden die Spitze gebrochen. Oder auch der Monolog, vom Regisseur höchstpersönlich gesprochen, zunächst aus dem einen Fenster und, nach Sekunden (!?es war derselbe Mann), aus einem recht entfernten Fenster wiederholt.
Wiederum wurde durch die Wiederholung das Bösartige geschwächt und das dada-artig Absurde des Textes verstärkt. Beide Szenen sind aus dem ersten Text-Collagen-Teil. Ein Zuviel an absurdem Witz wäre schlichtweg langweilig, ein Zuviel an makabrer Bösartigkeit wenig unterhaltend bis unerträglich gewesen. Dem Regisseur und dem Ensemble ist die Mischung wohlgelungen.

Anmaßend zu behaupten: Daniil Charms hätte sich bestimmt (auch) gut amüsiert ??? Die beschriebene Aufführung kann alsein Puzzleteil des "Gesamtkunstwerks" Daniil Charms/Elizaveta Bam gelten. Ein anderes Teilstück, "Auf dem Weg zu Elizaveta Bam", war im Rahmen des Charlottenburger Seelingstraßen-Theaterspektakels im Mai zu sehen. Hier, im Juli in der Almstadtstraße in Mitte, war die Inszenierung mit "Freiheit für Elizaveta Bam" betitelt. Und irgendwann im November geht E.B. in den Untergrund (voraussichtlicher Spielort wird eine U-Bahn-Station sein), durch experimentellen Einsatz von Videotechnik wird das Stück "Die Rückkehr der Eliza BetaCam" entstehen. Mit den Mitteln des Performance-Theater, wie Nicht-Festlegungen, Spiel mit den örtlichen Gegebenheiten, Stimulanz durch die jeweiligen Atmosphären, Integration äußerer (fremder) Impulse, nehmen der Regisseur Stefan Horn und die Schauspieler unterschiedlichste Blickwinkel auf ihr bespieltes "Objekt" ein - und mit ihnen die Zuschauer. So dürfen wir gespannt sein auf weitere Facetten der Elizaveta Bam.